Von Filmen schreiben, aber wie?

Gedanken zum Filmkritik-Workshop bei der 47. Duisburger Filmwoche

Im Rahmen der 47. Duisburger Filmwoche fand zum ersten Mal ein gemeinsam vom Festival und Jugend ohne Film organisierter Filmkritik-Workshop statt. Fünf Teilnehmende (Anna Stocker, Christopher Dörr, Derya Satır, Leonie Jenning, Valentin Herleth) wurden für fünf Tage nach Duisburg eingeladen. Dort setzten sie sich unter Anleitung von Eh-Jae Kim und Patrick Holzapfel mit dem Filmprogramm auseinander, diskutierten, schrieben Kurztexte, spazierten durch die Stadt und erarbeiteten im Anschluss an das Festival jeweils einen Text zu LA EMPRESA von André Siegers. Außerdem gab es in gesonderten Treffen Gespräche mit der Filmkritikerin und auf dem Festival unter anderem als Protokollantin arbeitenden Maxi Braun, dem Filmkritiker Fabian Tietke und den Filmemachern André Siegers und Simon Quack. 

Der Titel des Workshops „Von Filmen schreiben“ verweist dabei auf ein dezidiert von der Filmwoche und Jugend ohne Film geteiltes Verlangen bezüglich des Schreibens über Filme: Nicht ein bewertendes, journalistisches Abarbeiten einzelner Dokumentarfilme sollte im Zentrum des Workshops stehen, sondern ein freierer, essayistischer Zugang, der Filme als Ausgangspunkt für ein kritisches, ästhetisches Denken versteht. Dieses der herkömmlichen Filmkritik aus diversen Gründen mehrheitlich abhandengekommene Schreiben würde sich beispielsweise im Einbeziehen der in Duisburg sehr speziellen Sichtungs- und Diskurssituation, dem Mit-Reflektieren eines eigenen Ichs, der Stadt, des Festivals oder durch außerfilmische Assoziationen äußern. 

Im Lauf der Woche merkten wir immer wieder, wie schwer ein solches Ausbrechen aus vorgefertigten Mustern tatsächlich ist. Zum einen, weil die Teilnehmenden oftmals akademischen Kontexten entstammen, die eine bestimmte Form des normierten Schreibens prägen. Dieses äußert sich in der betonten Bedeutung bestimmter Begriffsdefinitionen und läuft zeitweise Gefahr, die gesehenen Filme zu sehr mit theoretischen Diskursen abzugleichen. Zum anderen, weil in der kurzen Atemlosigkeit einer reiz- und themenüberflutenden Filmwoche zunächst gilt, über wichtige Fragen des Dokumentarischen (seien es ethische, politische, ästhetische, festivalspezifische oder filmhandwerkliche Fragen) ins Grübeln zu kommen, bevor man in einem zweiten Schritt auch noch über das Schreiben nachdenken muss. Dass das unseren Teilnehmenden in wenigen Tagen mit einem fürs Schreiben unerlässlichem Mut zum Scheitern gelungen ist, gibt, so pathetisch das klingen mag, Hoffnung.

In den gemeinsamen Sitzungen mit den Teilnehmenden, vor allem jenen mit Maxi Braun und Fabian Tietke, trafen immer wieder die vorherrschenden Wirklichkeiten des Filmkritiker:innendaseins auf die eigentliche Lust am Sehen, Diskutieren und am Text. Es stimmt nachdenklich, dass das Vermitteln beruflicher Gegebenheiten so stark auseinanderdriftet mit den Wünschen, die man ans Schreiben über Filme legt. Für jeden Gedanken, den wir an das Sehen, die Wahrnehmung, das Fühlen richteten, tauchte ein anderer auf, der von fehlender Zeit, ökonomischen Wirklichkeiten und einem daraus folgendem Pragmatismus erzählte. Die von Valentin Herleth in seinem Text beschworene Gleichzeitigkeit aus Melancholie und Absurdität ist demnach nicht nur eine Sache von LA EMPRESA, sie entwächst einer Wirklichkeit der Filmkultur. 

Da das Festival mit seiner auf Debatten ausgelegten Struktur besonders stimulierend auf kritische Impulse wirkt, ermöglicht es Räume, die den Potenzialen filmkritischen Denkens Auftrieb verleihen. Ein solcher Workshop ist auch eine Simulation, eben eine solche, wie LA EMPRESA, über den Leonie Jenning in ihrem Text schreibt:

„Eine Simulation ist insofern jederzeit eine Grenzerfahrung. Sie bildet die Schnittstelle zwischen dem Simulierten, der Wirklichkeit, und sich selbst, der Simulation.

Was damit gemeint ist, zeigte sich beispielsweise in der Begegnung der Teilnehmenden mit den Filmschaffenden, über deren Film sie schreiben würden. Die möglichen Ansatzpunkte einer Kritik drohen in solchen menschlichen Begegnungen für gewöhnlich verloren zu gehen. Filme lassen sich eben leichter kritisieren als Menschen. Gleichzeitig sollte Kritik über persönlichen Konflikten stehen. Sie ist bestenfalls eine unabhängige Form des Dialogs, des gemeinsamen Nachdenkens. Wenn also Anna Stocker in ihrem Text bemerkt: „Es bleibt eine Unsicherheit darüber, ob diese distanzierte Ironie vielleicht auch bequem ist“ und Christopher Dörr sein Sinnieren über LA EMPRESA just an dem aufhängt, was der Film ausspart, dann sind das keine urteilenden Abwertungen des Gesehenen, sondern ernsthafte Auseinandersetzungen mit dem, was ein Film auch über seine eigenen Grenzen hinaus in sich trägt.  
In diesem Zusammenhang ist eine geäußerte Verunsicherung, wie jene im Text von Derya Satır, als sie von einem „Zwiespalt zwischen Unglauben und Neugier“ schreibt, besonders relevant. Das Entstehen solcher Texte entspringt bestenfalls einer Irritation. Was man schon weiß, bewirkt selten wirkliche Lust am Schreiben. Wie also Wörter finden, für etwas, dass wir mit jedem neuen Sehen bestenfalls auch neu verstehen müssen? In dieser Hinsicht spiegelt die Erfahrung des Workshops und auch jene der Diskussionen innerhalb der Gruppe die Gespräche, denen man in den offiziellen und inoffiziellen Räumlichkeiten während der Filmwoche beiwohnen darf. Es ist eine Erfahrung, die einen stark mit den eigenen und den generellen Schwierigkeiten des filmischen Diskurses konfrontiert und die gerade deshalb produktiv und wichtig ist.

Hier geht es zu Jugend ohne Film und Texten des Filmkritik-Workshops.

Foto: Duisburger Filmwoche / Maria Kotylevskaja

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